Acht Frauen nehmen an einem Selbstverteidigungskurs des Judosportvereins Markdorf teil. Sicheres Auftreten und einfache Tricks können vor Angreifern schützen.
Markdorf – Der linke Arm liegt schützend über dem Kopf. Dann ein, zwei, drei gezielte Schäge in den Oberkörper. „Gegenwehr, Gegenwehr!“, brüllt der Gegner, während er zurücktaumelt. Das ist der ideale Zeitpunkt, um mit einem gezielten Schubs den Angriff weiter abzudrängen. Ein letzter, gezielter Tritt in den Genitalbereich und der Angreifer geht buchstäblich zu Fall.
Kicken, schucken und vor allem schreien – in der Sporthalle des Bildungszentrums gehen die acht Frauen alles andere als zimperlich mit den beiden Männern um, die immer wieder bedrohlich auf sie zukommen. Einen Tritt nach dem anderen müssen Rainer Zanker und Clemens Milich von den Damen einstecken. Das tun die beiden Männer jedoch freiwillig und zum Wohle der anwesenden Frauen. Zanker und Milich sind Trainer beim Judosportverein Markdorf (JSV) und üben mit den acht Kursteilnehmerinnen was zu tun ist, wenn sie angegriffen werden.
Selbstverteidigung ist gefragt
Seit zehn Jahren bietet der JSV in unregelmäßigen Abständen Selbstverteidigungs-Kurse an. Mit den sexuellen Übergriffen in der Kölner Silvesternacht sei das Interesse an Selbstverteidigung wieder gestiegen, erklärt Milich. Angst, selbst Opfer zu werden, haben die Kursteilnehmerinnen jedoch nicht. „Mir geht es um den Spaß und darum, es einfach mal gelernt zu haben – schaden tut es sicher nicht“, erklärt Barbara Buzinski. Die 21-Jährige übt mit ihrer Freundin Daniela Kempkens einen Befreiungsgriff, den Zanker soeben vorgemacht haben.
Die Schwachstelle Daumen ausnutzen und darüber aus dem Griff des Angreifers ausbrechen. Reichlich zögerlich zieht Buzinski ihr Handgelenk aus der Umklammerung ihrer Freundin. Und es funktioniert. „Okay, das überrascht mich jetzt doch“, sagt Kempkens und greift dieses Mal fester zu. Doch wieder schafft es die 21-jährige Salemerin sich zu befreien. „Es geht bei allen Übungen, die uns hier gezeigt werden, mehr um Technik als um Kraft – was nicht heißt, dass wir hier nicht mit vollem Körpereinsatz dabei sind“, sagt Kempkens lachend, während sie ihre Freundin zum fünften Mal schwungvoll aus ihrem Klammergriff befreit.
„Soweit, dass der Angreifer auch packen kann, sollte es eigentlich gar nicht kommen“, erklärt Clemens Milich den vom Training verschwitzten Damen. Bei einer Bedrohung reiche oft ein entschiedendes Auftreten und vor allem Schreien. „Was der Täter nicht will, ist Aufmerksamkeit – also verschafft euch welche“, rät der Judotrainer. Doch es ist das Schreien, das den Kursteilnehmerinnen besonders schwer fällt. Die Luft ist stickig, die Puste geht langsam aus und die Scham, in der Übungssituation grundlos aus vollem Halse zu brüllen, ist groß. „Es besteht hier ja keine Gefahr, da fällt das Schreien schwer. Wenn man wirklich in eine brenzlige Situation kommt, ist das wohl anders“, sagt Sarah Amberger. Die 23-jährige Friedrichshafenerin ist mit ihrer Mutter Melanie Amberger nach Markdorf gekommen, um sich von Milich und Zanker in Selbstverteidigung schulen zu lassen. Was den beiden Frauen besonders gut gefällt: Auch für Untrainierte ist der Kurs des JSV gut machbar. „Die Tipps sind effektiv und für jeden umsetzbar“, so Melanie Amberger.
Mit dem Schreien weniger Probleme hat Tina Stark. Gemeinsam mit ihrer Bekannten Sylvia Winter macht die Schorndorferin einen Wochenendausflug an den Bodensee. Statt Wellness in der Therme haben sich die beiden Frauen für das Training in der Halle entschieden. Mit der Bratze an der Hand steckt Winter einen Schlag von Stark ein, die während sie ausholt markerschütternd „Halt, Stopp“, schreit. Dafür erntet sie Applaus von den anderen Teilnehmerinnen. „Das Schreien fällt mir nicht besonders schwer – ich singe im Chor und bin es gewohnt, meine Stimme einzusetzen“, verrät die 53-Jährige. Während des Angriffs die Tritt- und Schlagabfolge richtig auszuführen, sei jedoch nicht so einfach. „Man muss das immer wieder üben, bis es im Ernstfall automatisch kommt“, erklärt Trainer Milich. Wenn man dann beherzt das Gerlernte berücksichtige, könnte die Mehrheit der Angriffe abgewehrt werden, vor allem wenn der Täter alkoholisiert sei, so Milich.
Frauen als Opfer
Im vergangenen Jahr sind nach Angaben des Polizeipräsidiums Konstanz 31 Frauen im Bodenseekreis Opfer von Über- und Angriffen im öffentlichen Raum geworden. Bei den Delikten handelte es sich um Bedrohungen, Handtaschenraub, exhibitionistische Straftaten sowie Vergewaltigungen bzw. sexuelle Nötigungen, die bei Bahnhöfen, Haltestellen, in Fußgängerzonen, auf Straßen und Wegen, an Stränden und Ufern, in Wäldern sowie in Park-/Grünanlagen, auf Parkplätzen oder in freiem Gelände begangen wurden. Unter den 31 Opfern befanden sich 13 Frauen, die unter 21 Jahre alt waren, 16 Frauen, die zwischen 21 und 59 Jahre alt und zwei Frauen, die 60 Jahre oder älter waren. (jel)